Politik

"Stadtbild"-Debatte: DIW-Chef Fratzscher warnt vor wirtschaftlichen Folgen

  • AFP - 22. Oktober 2025, 14:44 Uhr
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Demo gegen "Stadtbild"-Aussage vor CDU-Zentrale
Bild: AFP

DIW-Präsident Fratzscher hat vor den wirtschaftlichen Folgen der wiederholten Aussagen von Kanzler Merz (CDU) zu Migration im 'Stadtbild' gewarnt: 'Seine jüngsten Äußerungen richten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an.'

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat vor den wirtschaftlichen Folgen der Aussagen von Kanzler Friedrich Merz (CDU) zu Migration im "Stadtbild" gewarnt. "Seine jüngsten Äußerungen verschärfen die gesellschaftliche Polarisierung und richten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher dem "Handelsblatt" vom Mittwoch. Merz "schadet der deutschen Wirtschaft", kritisierte auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge.

Deutschlands wirtschaftlicher Wohlstand und viele gute Arbeitsplätze hingen davon ab, ob die Bundesrepublik wieder attraktiver für die Zuwanderung vor allem hoch qualifizierter Menschen werde, betonte Fratzscher. "Die Botschaft des Bundeskanzlers schwächt die Willkommenskultur Deutschlands und wird den Fachkräftemangel in Deutschland in den kommenden Jahren verschärfen." 

Der Kanzler scheine ein Problem darin zu sehen, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist und das Stadtbild daher natürlich von Menschen mit Migrationsgeschichte geprägt ist, kritisierte der DIW-Chef weiter.

"Pflege, Bau, Gastronomie – viele Branchen suchen verzweifelt nach Arbeitskräften", sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge der Nachrichtenagentur AFP. "Und gerade in Branchen mit hohem Arbeitskräftemangel arbeiten überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationsgeschichte. Sie halten dieses Land am Laufen."

Für die deutsche Wirtschaft sei es deshalb "eine existenzielle Frage, dass mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland kommen". Auch vor diesem Hintergrund seien die Aussagen des Kanzlers "schädlich und problematisch", betonte Dröge. Sie forderte zugleich eine Entschuldigung von Merz - "wenn er das nicht tut, schadet er dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Und er schadet der deutschen Wirtschaft".

Mit seinen Äußerungen zur Auswirkung von Migration auf das "Stadtbild" hatte Merz sich den Vorwurf von Diskriminierung und Rassismus eingehandelt. Ungeachtet der Kritik legte der Kanzler am Montag noch einmal nach: "Ich habe gar nichts zurückzunehmen - im Gegenteil." Merz betonte, er habe viel Zustimmung für seine Äußerung bekommen. "Fragen Sie Ihre Kinder, fragen Sie Ihre Töchter, fragen Sie im Freundes- und Bekanntenkreis herum: Alle bestätigen, dass das ein Problem ist - spätestens mit Einbruch der Dunkelheit."

Nach den erneuten Äußerungen von Merz demonstrierten am Dienstagabend mehrere hundert Menschen vor der CDU-Zentrale gegen den Kanzler. Die Kundgebung fand unter dem Motto "Wir sind die Töchter" statt. Die Sicherheit von Frauen dürfe "nicht für populistische Aussagen instrumentalisiert werden", hieß es im Demo-Aufruf.

Auch beim sozialdemokratischen Koalitionspartner hält derweil die Kritik an Merz an. Der Kanzler verunglimpfe "die Lebensleistung von vielen Menschen, die zu uns gehören", sagte die stellvertretende Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Sonja Eichwede in der ARD. "Eine Große Koalition muss zusammenführen, und das ist auch die Aufgabe eines Bundeskanzlers."

Es gebe in Städten "vielfältige Probleme" wie Immobilien-Leerstand oder Kriminalität. Hier brauche es "differenzierte Antworten" und "keine pauschalen Aussagen gegen ganze Menschengruppen", betonte die SPD-Politikerin. 

Einen Koalitionsbeschluss zum Thema forderte der SPD-Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic. "Die Koalition aus CDU, CSU und SPD sollte sich auf ein gemeinsames Stadtbild durch einen parlamentarischen Beschluss verständigen, um die Debatte zu rationalisieren", sagte er dem "Stern".

Merz habe die Öffentlichkeit "ratlos" zurückgelassen, kritisierte der rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsident Alexander Schweitzer. "Wenn ich ein Problem wahrnehme und beschreibe, dann muss ich auch eine Lösung herbeiführen." Die sehe er in diesem Fall nicht. Der Kanzler habe die Aufgabe, "seinen Worten entweder Klarheit zu verleihen oder sie mit politischen Vorschlägen zu versehen".

Ausgrenzung warf die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) Merz vor. "Wenn Spitzenpolitiker Menschen mit Migrationsgeschichte als 'Stadtbildproblem' bezeichnen, grenzen sie nicht Probleme ein, sondern Menschen aus", erklärte TGD-Ko-Vorsitzender Gökay Sofuoglu. "Wer so spricht, spaltet." Wer Verantwortung für dieses Land trage, müsse auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.

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