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UN-Gericht stuft Israels Besatzung von Palästinensergebieten als unrechtmäßig ein

  • AFP - 19. Juli 2024, 19:01 Uhr
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IGH-Richter Nawaf Salam verliest Entscheidung
Bild: AFP

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat die seit Jahrzehnten andauernde israelische Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten als unrechtmäßig eingestuft.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat die seit Jahrzehnten andauernde israelische Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten als unrechtmäßig eingestuft. Das UN-Gericht habe festgestellt, "dass Israels anhaltende Präsenz in den palästinensischen Gebieten unrechtmäßig ist", erklärte Richter Nawaf Salam am Freitag. Israel müsse die Besatzung "so schnell wie möglich beenden". Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach von einer "Lügen-Entscheidung" - die Palästinenser feierten dagegen die Entscheidung.

Laut dem Beschluss des IGH ist Israel "verpflichtet, unverzüglich alle neuen Siedlungsaktivitäten einzustellen" und alle Siedler aus den besetzten Gebieten zu evakuieren. Die Politik und Praktiken Israels - einschließlich des Baus neuer Siedlungen und der Aufrechterhaltung einer Mauer zwischen den Gebieten - kämen einer Annexion großer Teile der besetzten Gebiete gleich, entschied das Gericht. Der Beschluss des IGH ist nicht bindend, könnte jedoch mit Blick auf den Krieg im Gazastreifen den Druck auf Israel weiter erhöhen.

Der IGH hatte im Februar auf Ersuchen der Vereinten Nationen eine einwöchige Sitzung abgehalten, bei der Anhörungen zu den Auswirkungen der Besatzung seit 1967 stattfanden. Die UN-Generalversammlung hatte vom IGH bereits 2022 ein unverbindliches "Gutachten" zu den "rechtlichen Konsequenzen" gefordert, "die sich aus der Politik und den Praktiken Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalems, ergeben". 

Bei den Anhörungen traten unter anderem Vertreter Russlands, Chinas und der USA vor die Richter in Den Haag. Insgesamt äußerten sich 52 Staaten vor dem IGH. Die meisten von ihnen forderten während der Anhörungen ein Ende der israelischen Besatzung in den Palästinensergebieten. Israel selbst blieb den Anhörungen fern.

Die palästinensische Präsidentschaft sprach am Freitag von einer "historischen" Entscheidung und forderte, "dass Israel gezwungen wird, sie umzusetzen". Israel sei verpflichtet, "dieses unrechtmäßige koloniale Vorgehen bedingungslos zu beenden", hieß es aus dem Büro von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Die Staatsministerin der Palästinenserbehörde für Auswärtige Angelegenheiten, Warsen Aghabekian Schahin, sprach von einem "großartigen Tag für Palästina". Das höchste UN-Gericht habe "eine sehr detaillierte Analyse dessen vorgelegt, was durch Israels anhaltende Besatzung und Besiedlung des palästinensischen Territoriums unter Verletzung des Völkerrechts geschieht", sagte Aghabekian der Nachrichtenagentur AFP. 

Netanjahu sagte nach der Entscheidung, das jüdische Volk sei "kein Besatzer in seinem eigenen Land" - weder in "unserer ewigen Hauptstadt Jerusalem" noch im "Erbe unserer Vorfahren", womit er sich auf das Westjordanland und den Gazastreifen bezog. "Keine Lügenentscheidung in Den Haag wird diese historische Wahrheit verzerren und ebensowenig kann die Rechtmäßigkeit der israelischen Siedlungen in allen Teilen unseres Heimatlandes bestritten werden", betonte der israelische Regierungschef. 

Israels rechtsextremer Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir, ein Verfechter der jüdischen Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland, erklärte: "Die Entscheidung in Den Haag beweist einmal mehr, dass es sich um eine unverhohlen antisemitische und politische Organisation handelt. Wir werden uns von ihnen nicht moralisch belehren lassen". Gvir forderte, Israel solle die "Souveränität" über die besetzten Palästinensergebiete durch Annexion anstreben. Auch der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich forderte Maßnahmen zur Annexion des Westjordanlandes. "Die Antwort auf Den Haag - Souveränität jetzt", erklärte er im Onlinedienst X.

Auch Oppositionsführer Jair Lapid kritisierte die Entscheidung des Gerichts als "einseitig, antisemitisch eingefärbt und ohne Verständnis für die Realität vor Ort". Das israelische Außenministerium kritisierte bei X, mit dem Entscheid aus würde "die Möglichkeit einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts in weite Ferne rücken".

Israel hatte im Verlauf des Sechstagekrieges, bei dem es 1967 einem befürchteten Angriff arabischer Staaten zuvorgekommen war, unter anderem den Gazastreifen und das Westjordanland erobert. Seitdem hält Israel das Westjordanland besetzt und hat dort den Siedlungsbau vorangetrieben. Etwa 400.000 Israelis leben dort heute in Siedlungen.

Im Jahr 2005 hatte sich Israel vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen. Aus dort abgehaltenen Wahlen ein Jahr später ging die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas als Siegerin hervor.

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