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Zustimmung grüner Ministerin zu EU-Gesetz löst Koalitionskrise in Österreich aus

  • AFP - 17. Juni 2024, 15:04 Uhr
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Leonore Gewessler im Mai 2022 in Brüssel
Bild: AFP

Die Verabschiedung des umstrittenen Renaturierungsgesetzes durch die EU-Umweltminister hat in Österreich eine Regierungskrise ausgelöst: Bundeskanzler Karl Nehammer kündigte eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an.

Die Verabschiedung des umstrittenen Renaturierungsgesetzes durch die EU-Umweltminister hat in Österreich eine Regierungskrise ausgelöst: Der konservative Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) kündigte am Montag nach dem Ja der grünen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zum EU-Renaturierungsgesetz eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Gewessler selbst sprach von einer "mutigen Entscheidung" zugunsten des "gesunden und glücklichen Lebens künftiger Generationen". 

Das Kanzleramt in Wien erklärte, das Votum Gewesslers "entspricht nicht dem innerstaatlichen Willen und konnte daher nicht verfassungskonform abgegeben werden". In der Erklärung hieß es weiter: "Niemand steht über dem Recht." Der Klimaschutz sei zwar "ein wichtiges Anliegen", die Verfassung gelte aber "auch für Klimaschützer". 

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker kündigte neben der Klage vor dem EuGH auch eine Anzeige gegen Gewessler wegen Amtsmissbrauchs an. Es bestehe der Verdacht, dass Gewessler "rechtswidrig und wissentlich" gegen die Verfassung handele, argumentierte Stocker.

Die Grünen-Politikerin Gewessler hatte zuvor bei der Abstimmung der Umweltministerinnen und -minister der Europäischen Union für das seit Monaten umstrittene Renaturierungsgesetz gestimmt. Sie handelte damit gegen den Willen des Bundeskanzlers Nehammer. Mit dem Gesetz will die EU die Umweltzerstörung in den Mitgliedstaaten zurückdrehen.

"Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur", erklärte Gewessler nach der Abstimmung. "Mein Gewissen sagt mir unmissverständlich: wenn das gesunde und glückliche Leben künftiger Generationen am Spiel steht, braucht es mutige Entscheidungen", verteidigte sie ihr Vorgehen.

Das Kanzleramt erklärte, es müsse nun die Entscheidung des EuGH abgewartet werden. "Wir gehen davon aus, dass der EuGH so rechtzeitig entscheiden wird", dass die nationale Umsetzung des Gesetzes "vorab nicht notwendig sein wird". 

Gut drei Monate vor der Parlamentswahl befindet sich die österreichische Regierung aus ÖVP und Grünen somit in der Krise. Der Streit um das Renaturierungsgesetz beschäftigt die Koalition schon länger. Es verpflichtet die EU-Länder, bis 2030 mindestens je 20 Prozent der geschädigten Flächen und Meeresgebiete wiederherzustellen und bis 2050 alle bedrohten Ökosysteme. Darauf hatten sich die Unterhändler der Mitgliedstaaten bereits im November mit den Abgeordneten des Europaparlaments geeinigt. Insbesondere die Landwirtschaft sieht das Gesetz kritisch.

Die endgültige Zustimmung der 27 EU-Länder zu dieser Einigung galt eigentlich als Formalie. Die Verhältnisse im Rat der Mitgliedstaaten waren jedoch bis zuletzt knapp: Italien, Finnland, die Niederlande, Polen, Schweden und Ungarn sprachen sich nach Diplomatenangaben gegen das Gesetz aus. Belgien enthielt sich. Die nötige qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten und mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung kam damit erst mit der Zustimmung Österreichs zustande.

Gewessler hatte ihre Zustimmung für das Gesetz am Sonntag angekündigt. Einer bereits vor der Abstimmung durch das Kanzleramt in Wien angedrohten Klage sehe sie gelassen entgegen. Dafür gebe es aus ihrer Sicht keine rechtliche Grundlage. 

Der Koalitionskrach um das Gesetz ist die bisher schwerwiegendste Meinungsverschiedenheit seit der Regierungsbildung im Jahr 2020. Die Frage ist nun, ob die Koalition noch bis zur Wahl im September bestehen bleiben wird.

Der Parteivorsitzende der oppositionellen SPÖ, Andreas Babler, sprach am Montag von einer "besorgniserregenden Regierungskrise" und einer "bitteren Stunde für die internationale Reputation Österreichs". Der Vorsitzende der rechtspopulistischen FPÖ, Herbert Kickl, forderte von Bundeskanzler Nehammer Konsequenzen für Gewesslers "ideologiegetriebenen Alleingang". 

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