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Im Bücherregal: Design between the Lines

  • Jens Meiners/ampnet - 22. September 2019, 10:15 Uhr

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Kann man die Rolle überschätzen, die Patrick Le Quément für die Welt des Designs besitzt? Nach einem kometenhaften Aufstieg, der bei Simca begann und zu Ford und Volkswagen führte, wurde er 1987 schließlich zum Renault-Designchef ernannt. Natürlich kann niemand die Geschichte seines Lebens und seiner Karriere besser erzählen als er selbst, und deshalb hat Le Quément ,,Design between the Lines" geschrieben - ein 224 Seiten starkes, englischsprachiges Buch mit 50 Essays, akzentuiert durch Beiträge des französischen Intellektuellen Stéphane Geffray und humorvoll illustriert von Gernot Bracht, einem deutschen Designer und Hochschullehrer, der einst für Le Quément arbeitete.

Als Patrick Le Quément zu Renault stieß, befand sich der damalige Staatskonzern in der Krise; Le Quément erhielt weitreichende Befugnisse, um die Designabteilung völlig neu aufzustellen. Was ihm dort gelang, machte Schule und schlug Wellen weit über die Marke hinaus. Er verdoppelte kurzerhand die Gehälter seiner Mitarbeiter; er hob das Thema Design auf Vorstandsebene, und er begann, eine außergewöhnliche Mannschaft zusammenzustellen. Vor allem aber sorgte er dafür, dass sich seine Designabteilung von dem oft erstickenden Einfluss externer Designbüros emanzipieren konnte.

Autodesign in den 70er und frühen 80er-Jahren wurde von italienischen Designern wie Giugiaro und Bertone diktiert; die von dort eingekauften externen Modelle wurden - nicht nur bei Renault - hausinternen Vorschlägen regelmäßig vorgezogen. Le Quément beendete die ästhetische Fremdherrschaft.

Und noch eine weitere Philosophie war typisch Le Quément: Er weigerte sich, dem ausgetretenen Weg vieler Konkurrenten zu folgen, bei denen aggressiv gezeichnete Autos Status statt Funktion betonten. Statt dessen ging es ihm um Platz und Praktikabilität; er gab dem Autodesign seiner Zeit eine fröhliche und intellektuelle Note.

Ein besonders schönes Beispiel dafür ist der Renault Twingo. Mehr als einmal stand der sympathische Kleinwagen auf der Kippe, und auch das freundliche Gesicht überlebte nur durch eine Intervention des Chefdesigners beim Generaldirektor. Der Twingo wurde zum Star des Pariser Salon 1992. Le Quément forcierte auch den ungewöhnlichen Avantime, der bis heute ein Solitär geblieben ist und sich weit von den Konventionen des Premium-Segments abhebt. Und die futuristischen Concept Cars von Renault sind Legende.

Der Designer war von Renault-Generaldirektor Raymond Lévy eingestellt worden, um einem französischen Sprichwort zufolge als ,,Katze unter Tauben" zu agieren. Und so stärkte Lévy regelmäßig den Rücken seines Chefdesigners, wenn die Zahlenmenschen wieder einmal versuchten, eines seiner Projekte zu verwässern oder abzuwürgen.

Das bei Merrell Publishers in London und New York erschienene Buch ist eine tour de force durch die Welt des Designs eines halben Jahrhunderts. Und mit seiner globalen, über mehr als ein halbes Jahrhundert gesammelten Erfahrung hat Le Quément viel zu erzählen. So erfährt man aus erster Hand, welche Weinsorte Henry Ford II bevorzugte; warum der Karossier Ghia in den 80er Jahren an Boden verlor oder wie PSA-Chef Jacques Calvet terroristischen Bedrohungen vorbeugte.

Der Band steckt voller Hintergründe, unerwarteter Anekdoten und kontroverser Thesen. Le Quément nimmt sich das müde Vorurteil zur Brust, alle Autos sähen heutzutage gleich aus, und er lässt Werbe-Legende David Ogilvy mit der Beobachtung zu Wort kommen, daß die sogenannten ,,clinics", bei denen potentielle Endkunden zu neuen Produkten befragt werden, den Zweck einer Straßenlaterne für einen Betrunkenen erfüllen: Sie geben Halt - anstatt Erleuchtung.

Le Quément liebt Automobile, aber er hat sich seinen kritischen Blick auf die Branche bewahrt. Und so fragt er vor dem Hintergrund aktueller Supersportwagen ironisch, ob es vielleicht auch ein sinnvolles Ziel sei, in 4,5 Sekunden ein Abendessen zu verschlingen oder sich in zwei Sekunden anzuziehen. Und er besitzt pointierte Ansichten zu jenen Klassiker-Liebhabern, die eifersüchtig den verheerenden Zustand so genannter Scheunenfunde konservieren.

Wer sich für eine Karriere als Autodesigner interessiert oder einfach wissen will, wie die Branche funktioniert, findet in ,,Design between the lines" übrigens auch nützliche Einblicke in viele wirtschaftliche und unternehmerische Aspekte. Le Quément beschreibt seine Erfahrungen mit Headhuntern und liefert Hinweise, wie man ein kreatives Team zusammenstellen und führen kann. Und er beschreibt seinen Übergang vom Automobil- zum Yachtdesign: Heute arbeitet er für Werften wie Lagoon, Excess, Outremer und Gunboat mit bereits von ihm gestalteten 26 Yachten.

Das Buch steckt voller Namen und Referenzen, die bei Designliebhabern auf Resonanz stoßen werden, und da es über ein sorgfältig erstelltes Themen- und Personenregister verfügt, bereitet es keine Schwierigkeit, Le Quéments Betrachtungen über bestimmte Personen oder Fahrzeugmodelle direkt aufzufinden. Eine unverzichtbare Lektüre für Liebhaber von Automobildesign im allgemeinen und der Marke Renault im besonderen.

Das Buch ist auch in Deutschland zu Preisen von rund 33 Euro zu bekommen. (ampnet/jm)

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