Motor

ZF will Reisekrankheit mit Künstlicher Intelligenz verhindern

  • Hans-Robert Richarz/ampnet - 18. Juli 2019, 14:40 Uhr

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Mediziner nennen sie "Kinetose", umgangssprachlich ist von Reise-, Luft- oder Seekrankheit die Rede. Dabei handelt es sich um ein weit verbreitetes, meist ungefährliches, aber äußerst unangenehmes Phänomen, das körperliche Reaktionen wie Blässe, Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit auslöst. Im schlimmsten Fall müssen sich die bedauernswerten Opfer von ihrer voran gegangenen Mahlzeit trennen. Da dieses Problem zukünftig im automatisierten Auto noch schlimmer werden könnte, wollen ihm Ingenieure der ZF Friedrichshafen AG mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu Leibe rücken.

Es ist der Bewegungsreiz, der Menschen mit Reisekrankheit zu schaffen macht. Er kann zum Beispiel in einem Auto auf einer kurvigen Strecke entstehen, auf einem schwankenden Schiff oder sogar auf festem Boden. Dann nämlich wenn ein Mensch nach langer Reise auf hoher See erstmals wieder Land betritt. Das Hauptproblem ist, dass die Bewegung den Gleichgewichtssinn durcheinanderbringt oder umgekehrt Wellengang zur Gewohnheit wurde und plötzlicher Stillstand verstörend wirkt.

Erfahrungsgemäß befällt die Reisekrankheit manche Menschen bei längeren Autofahrten auf der Rückbank oder dem Beifahrersitz. Nur rund ein Drittel aller Autopassagiere ist dagegen immun. Seltsamerweise bleiben Fahrerin oder Fahrer fast immer von ihr verschont. Schwindel und Übelkeit treten besonders dann auf, wenn die Passagiere nebenher lesen oder arbeiten. Noch größer ist die Gefahr, wenn sie entgegengesetzt zur Fahrtrichtung sitzen. Da diese Art menschlichen Transports in den voll automatisierten Personenwagen, Taxis und Kleinbussen der Zukunft zunehmen wird, intensiviert die ZF Friedrichshafen AG Forschung und Entwicklung um dieses Übel zu mindern.

Dabei geht ZF - obwohl von Haus aus Spezialist für alles Technische - über den rein fahrzeugbezogenen Ansatz hinaus: ,,Wir stellen den Insassen selbst und sein individuelles Fahrerlebnis in den Mittelpunkt", sagte Florian Dauth Anfang Juli während des ,,ZF Global Technology Day" für Journalisten aus aller Welt im sächsischen Klettwitz nahe Dresden. In der ZF-Vorentwicklung ist er verantwortlich für Aktivitäten im Bereich Human Centered Vehicle Motion Control. ,,Unser Ziel ist es, die Reisekrankheit individuell zu erkennen und auf den aktuellen Zustand des Passagiers bezogene Maßnahmen zu entwickeln."

Glücklicherweise mussten die ZF-Gäste in Sachsen nicht als Versuchskaninchen herhalten. Stattdessen hatte sich ZF für die wissenschaftliche Basis die für Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit (SNNU) an der Universität des Saarlandes und die Hochschule für Technik und Wissenschaft des Saarlandes (htw saar) ins Boot geholt. Hier wurden Studien mit Versuchspersonen und deren körperliche Reaktionen auf verschiedene Fahrsituationen untersucht.

Bei mehr als zehntausend Fahrkilometern sammelte das Forschungsteam über fünfzigtausend Gigabyte des zentralen und autonomen Nervensystems der Probanden als Thermografie-, Bild- und Fahrdynamikdaten. In der Branche ist dies eine einzigartige, multimodale Datenbasis zum Thema Reisekrankheit. ,,Sie helfen uns, über wissenschaftliche Herangehensweise ein Verständnis für das Phänomen Reisekrankheit zu erlangen und gleichzeitig die Grundlage für KI-basierte Algorithmen zu bilden", erklärt Dauth.

Sensoren im Innenraum des Fahrzeugs sowie an Körper und Kopf der Versuchspersonen sind zurzeit noch Bestandteil der Datenerhebung. ,,Die Herausforderung besteht darin, ein taugliches System zu entwickeln, das eine kontaktfreie Erkennung der Reisekrankheit erlaubt. Wir sehen dies als Schlüsselinformation, um das sehr individuelle Phänomen in den Griff zu bekommen", sagt Dauth. Damit erkennt der Fahrer - und später die Steuerung des automatisierten Fahrzeugs - frühzeitig, wenn beispielsweise einem Kind auf dem Rücksitz unwohl wird und kann das Fahrverhalten entsprechend anpassen.

Das Fahrzeug selbst soll eine vorausschauende Fahrweise entwickeln Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf Fahrzeugbewegungen und besitzt ein individuelles Empfinden für Fahrkomfort. Diese Tatsache bildet ZF in einem Algorithmus ab, der basierend auf KI-Methoden die Körperreaktionen des Passagiers einlernt und somit ein personalisiertes Profil erstellt. Da somit für jeden Mitfahrer individuelle Daten vorliegen, wären automatisierte Fahrzeuge sogar in der Lage, den bevorzugten Fahrstil jedes Passagiers umzusetzen. Bis dahin ist freilich noch ein langer Forschungsweg zurückzulegen. Doch ein Anfang für eine Autofahrt ohne Übelkeit empfindlicher Passagiere ist gemacht. (ampnet/hrr)

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